Gestern bin ich das erste Mal über Madeleine Alizadeh gestolpert. Genauer gesagt über ihren Blog DariaDaria. Madeleine ist 26 Jahre jung und erfolgreiche Mode- und Lifestyle Bloggerin. Vor allem aber ist sie Mensch. Und als Mensch kann und will sie nicht zu sehen, wie andere Menschen hungern, schwitzen, frieren oder verzweifeln. Verzweifelt ist Madeleine diese Tage selbst desöfteren. Sie möchte nur helfen… Doch warum wird Hilfe verwehrt? Nein, anders gefragt: Warum wird zu Hilfe aufgerufen und dann verwehrt? Madeleine hat auf eine Hilfe-Aussendung reagiert und alle Hebel in Bewegung gesetzt, um zu helfen. Konkret hat sie (neben vielen weiteren Tätigkeiten, die sie in Traiskirchen vollbringt und die neben Dankbarkeit auch neue Freundschaften eingebracht haben) eine Unterkunft für eine irakische Familie organisiert. Doch die Behörden scheinen mit Unterstützung nicht so gut umgehen zu können…
Seit Tagen telefoniere ich mehrmals täglich, schreibe E-Mails, fülle Anträge aus, weine, schreie, fühle mich gelähmt und innerlich zertsört. Weil ich helfen möchte und nicht kann. Ich bin der deutschen Sprache mächtig, habe einen Hochschulabschluss, kenne mich als Selbstständige mit dem österreichischen Bürokratiedschungel ganz gut aus und bin sehr belastbar. Und trotzdem wird es mir unmöglich gemacht zu helfen.
Warum werden Helfenden solche Steine in den Weg gelegt? Warum ist überhaupt unsere Hilfe notwendig? Und warum um Himmels willen können wir tatenlos zusehen, wenn Unmenschlichkeit passiert?
Was mich persönlich allerdings am meisten aufregt, ist das blinde/taube/gefühllose Verbreiten von Momentaufnahmen und reißerischen Slogans, die offensichtlich aufdecken sollen, wie gut es den Flüchtlingen eigentlich geht und wie undankbar sie sind. Leute! Wacht auf! Oder informiert euch zumindest bzw. macht euch euer eigenes Bild!
Solche Fotoalben findet man täglich auf Facebook…
Dazu natürlich noch die passenden (und in diesem Fall fast noch harmlosen) Kommentare…
Natürlich gibt es Müll vor Ort… zeitweise vielleicht auch viel Müll! Das kann jetzt daran liegen, dass [Sarkasmus-an] Flüchtlinge lieber im Dreck „wohnen“ als in einer sauberen Umgebung. [Sarkasmus-aus] Oder vielleicht auch einfach daran, dass zu viele Menschen auf zu engem Raum zusammenkommen, zu wenige Müll-Container existieren und viele hilfsbereite Österreicher Spenden mit Ausmisten verwechseln…
Ich war gemeinsam mit Schlafen-Verboten selbst in Traiskirchen, habe Spenden direkt an Flüchtlinge verteilt (Wasser, Obst, Hygieneartikel…) und anschließend im Sachspende-Lager der Caritas stundenlang sortiert, geordnet, ausgemistet und mich teilweise auch geekelt. Es ist ja prinzipiell schon mal lobenswert, wenn man Sachspenden der Caritas bringt und diese nicht irgendwo vor dem Auffanglager abstellt im guten Glauben, dass sich die Flüchtlinge schon selbst bedienen und man dadurch etwas Gutes getan hat… ABER WAS ZUM TEUFEL hat dreckige, teils stark riechende oder kaputte Kleidung in einem Spendenlager zu suchen? War der Weg zum Mistkübel zu weit oder wollte man sein eigenes Gewissen einfach nur um jeden Preis befriedigen? Man könnte sich ja immerhin auch vorab informieren, was gebraucht wird und wenn man nichts (sinnvolles!) zu spenden hat, dann sollte man es entweder bleiben lassen oder vor Ort selbst tatkräftig mit anpacken!
Was ich größtenteils vermisse, ist die Menschlichkeit. Ich habe in Traiskirchen vor allem Menschen gesehen! Menschen, die alles verloren haben. Menschen, die auf eine positive Zukunft hoffen. Menschen, die vermutlich nie wieder in ihre Heimat zurückkönnen. Menschen, die keine Familie mehr haben bzw. diese vielleicht nie wieder sehen! Menschen mit Schicksalen, die wir uns gar nicht vorstellen können. Menschen, die von Menschen in glücklicherer Lage teils mit Missachtung empfangen werden. Menschen, die bei Menschen scheinbar unerwünscht sind. Menschen, denen unterstellt wird, nur wegen des Geldes hier zu sein. Menschen, die keine Menschen sein dürfen!
Apropos Menschen: Kennt ihr Magdas Hotel? Solltet ihr euch unbedingt ansehen! Ein Vorzeigeprojekt an Solidarität, Integration und Menschlichkeit. Finanziert durch Spenden und Caritas werden in diesem Hotel beim Wiener Prater fast ausschließlich ehemalige Flüchtlinge beschäftigt. Mitarbeiter aus 16 Ländern, die 23 Sprachen sprechen! Unglaublich – vor allem auch unglaublich schwierig, denn kaum einer hat Erfahrungen am Hotel- oder Dienstleistungssektor. Als Beispiel sei hier das Schicksal einer irakischen Mathematik-Professorin angeführt, die 13 Jahre lang auf einen positiven Asyl-Bescheid warten musste. 13 Jahre lang! 13 Jahre nicht arbeiten dürfen! 13 Jahre Ungewissheit, wie es weiter geht und ob man bleiben darf! Nach 13 Jahren die Ernüchterung, dass die im Irak erworbene Hochschul-Ausbildung hier nicht anerkannt wird. Und nach 13 Jahren trotzdem glücklich und dankbar, wieder arbeiten zu dürfen… in diesem Fall in der Küche im Magdas Hotel…
Es geht mir nicht darum, dass wir als kleines Österreich die ganze Welt retten! Ich wünsche mir jedoch, dass WIR ein wenig Menschlichkeit und Respekt jenen gegenüber zeigen, die unsere Hilfe benötigen. Und natürlich sollten wir auch auf „unsere eigenen Leute“ schauen. Wobei mir dieser Ausdruck missfällt, weil wer sind „unsere eigenen Leute“ eigentlich? Mir ist schon klar, dass es auch unabhängig der Flüchtlingsproblematik eine Fülle an Themen gibt, die wir anpacken sollten und die jetzt oft eingefordert werden. Wir dürfen hier allerdings nicht verschiedene Problemstellungen miteinander vermischen oder gar vergleichen. Es bekommt kein Obdachloser ein Dach über den Kopf, wenn er öffentlich mit Flüchtlingen im Zeltlager verglichen wird. Und es bekommt kein Flüchtling ein Zelt über den Kopf, wenn ihm vorgehalten wird, dass wir es ja nicht mal schaffen, unsere „eigenen Leute“ zu versorgen.
Sollten wir es jetzt schaffen, uns eine Minute lang das Brett vor unserem Kopf wegzudenken, dann erkennen wir schnell, dass es überall etwas zu tun gibt. Reden, aufregen, vergleichen und hetzen bringt jedoch keinem was. Jeder, der Ungerechtigkeit anprangert, sollte sich mal fragen, was er selbst eigentlich für mehr Gerechtigkeit getan hat? Und natürlich ist auch die Regierung gefordert! …bzw. überfordert…
Ich habe Glück gehabt! Glück, mit einer Familie in einem Land und zu einer Zeit aufgewachsen zu sein, wo man sich keine Sorgen um einen vollen Kühlschrank, das neueste Spielzeug und den jährlichen Sommerurlaub machen musste. Es war Glück – nicht mehr und nicht weniger! Und dieses Glück weiß ich zu schätzen – heute mehr denn je!
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