Ich hatte es also gewagt, mich öffentlich über den Aufstieg von Olympique Marseille ins Europa-League-Finale und das damit verbundene Ausscheiden des österreichischen Vertreters FC Salzburg zu freuen. Dieser Beitrag brachte mir innerhalb meiner Fußball-affinen Freundesliste einigen Unmut ein. Es ist vielen von ihnen unverständlich und einfach nicht begreiflich, wie man einen Verein bzw. eine Firma, die offensichtlich so viel für den österreichischen Fußball tut, nicht gutheißen kann. Daher will ich nun einmal versuchen, meine Sichtweise detailliert darzustellen und meine Befürchtungen greifbar zu machen.
Dafür muss ich zunächst neidlos anerkennen:
- Ja, Red Bull Salzburg ist für österreichische Verhältnisse sehr erfolgreich und spielt dabei einen recht attraktiven Fußball
- Ja, Red Bull Salzburg hat eine großartige Infrastruktur errichtet
- Ja, Red Bull Salzburg hat bereits mehrere österreichische Nationalspieler hervorgebracht
- Ja, Red Bull Salzburg hat auch eine äußerst erfolgreiche Jugend-Abteilung
- Ja, Red Bull Salzburg wirtschaftet sehr erfolgreich
Doch egal in welcher Liga und egal in welchem Land: Wenn ein Sponsor zu mächtig wird oder sich zu viel herausnimmt, so werde ich dies immer anprangern. Das hat auch nichts mit Hass zu tun gegen ein Produkt, sondern mit der Tatsache, dass ich mit der Vorgehensweise nicht einverstanden bin, wie eine Marke den Sport beeinflusst bzw. im Falle von Salzburg sich einen Verein einverleibt hat.
Ich bin kein rosarote-Brille-tragender Realitätsverweigerer
Der Fußball braucht Sponsoren und diese sind oftmals auch sehr mächtig. Oligarchen, Mäzene und Gönner sind im europäischen Spitzenfußball Gang und Gebe. Auch diese betrachte ich mit Argwohn, sehe aber die anscheinende Notwendigkeit, um für die Masse attraktiven Fußball zu bieten. Der Unterschied zu Red Bull liegt aber ganz klar in der Herangehensweise in Bezug auf den Einstieg bei einem Verein, denn in der Regel wird zumindest die Historie respektiert. Auch ist man sich im Normalfall um die Wichtigkeit von bestehenden Fans und Fankulturen bewusst und würde gar nicht auf die Idee kommen, Vereinsfarben und Logo zu ändern. Das ist ein absolutes No-Go und kann nicht verziehen werden. Nicht nach vielen Jahren und auch nicht durch plötzliche internationale Erfolge.
Exkurs: In Bregenz wurde mir 2008 gar in der Regionalliga der Zutritt zum Stadion verwehrt (nach Anreise aus Wien für ein Meisterschaftsspiel), weil ich trotz neuem Sponsor (Rivella) und dem kurzfristig scheinbar notwendig gewordenen Wechsel der Vereinsfarben nach Neugründung (wie viele andere Fans) immer noch mit schwarz-weißem Fan-Schal erschienen bin. Der Verein versuchte sich damals von allen „Altlasten“ zu befreien und das Hochhalten der alten Farben kombiniert mit kritischen Stimmen war ein No-Go. Blau-Weiß war das neue Schwarz-Weiß und das sollten schließlich auch die eingeschworenen Fans zur Kenntnis nehmen und akzeptieren. Ich habe meinen Unmut damals auch in einem Brief an das Bregenzer Präsidium kundgetan und wünschte mir nur, dass meine Zeilen vielleicht ein bisschen Anregung bringen, um über farbenbezogene Stadionverbote nachzudenken. Die blau-weiße Ära zog gottseidank bald vorüber und Bregenz ist mittlerweile schon lange wieder Schwarz-Weiß.
Respekt vor Red Bull?
Wenn ich ehrlich bin, hatte ich in manchen Situationen in der Vergangenheit aus marketing-technischer Sicht sogar fast etwas Respekt vor der perfekten Maschinerie, die Red Bull von Anfang an aufzog: Die Art und Weise, wie neue Spieler präsentiert wurden, glich schon fast dem Ausrollen eines roten Teppichs bei einer Oscar-Verleihung. Nachwuchs-Leistungszentren und –Erfolge, Spitzentrainer, Transfererlöse und Nationalspieler aus der Kaderschmiede Red Bulls. Klar und logisch, dass man Politik, Medien und Fußball-Konsumenten bald auf seiner Seite hatte, aber: Nein! Red Bull Salzburg ist nicht die Fortführung der 1933 gegründeten Sportvereinigung Austria Salzburg und Fans kann man auch nach 13 Jahren kaum überzeugen, ins Stadion zu gehen: Gependelt wird ausschließlich dann nach Salzburg, wenn international gespielt wird. Leid tun mir manchmal die Spieler und Funktionäre, die unter hasserfülltem Red Bull Bashing zu leiden haben, jedoch erachte ich es umgekehrt fast als Pflicht eines Profis, sich intensiv mit seinem Arbeitgeber zu beschäftigen und dazu gehört auch dessen Vergangenheit. Wenn ich die Machenschaften meines neuen Arbeitgebers moralisch und ethisch vertreten kann, dann muss ich auch mit scharfem Gegenwind rechnen können.
Ich behaupte nicht, dass andere österreichische Vereine alles richtig machen. Ganz im Gegenteil sollten viele Geschäftsführer von Vereinen aus unseren höchsten Spielklassen wohl nochmal die Schulbank drücken und in Betriebswirtschaftslehre unterrichtet werden.
Doch das alles darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass meiner Ansicht nach bei Red Bull nicht der Fußball sondern der wirtschaftliche Erfolg der aufputschenden Sprudel-Brause im Vordergrund steht. Vermutlich kann man Red Bull Machenschaften auch in anderen Sportarten kritisieren, jedoch gehört mein sportliches Herz dem Fußball und mir ist auch aus keiner anderen Sportart bekannt, dass es Filialen um den ganzen Globus gibt, die sich untereinander vernetzen und austauschen (Red Bull Salzburg, Rasenball Leipzig, Red Bull New York, Red Bull Brasil) bzw. bei Misserfolg oder dem Ausbleiben von Talenten auch einfach wieder aufgegeben werden (Red Bull Ghana[1]). Hier sehe ich auch die große Gefahr von Nachahmern in Form von Konzernen, bei denen der Fußball bzw. der Sport am Ende komplett auf der Strecke bleibt.
Mit Tradition kann man sich nichts kaufen
Eine kleine Aufzählung über Punkte, die darlegen, warum ich denke, dass Red Bull in Österreich besser dran gewesen wäre einen neuen Verein zu gründen oder einen aus einer Unterliga ohne wertvolle Historie zu übernehmen:
- Red Bull hat Austria Salzburg vor 13 Jahren übernommen, die Vergangenheit (Vereinsgründung 1933) einfach weggeworfen und als Gründungsjahr 2005 geschrieben.
- Red Bull ist zudem nicht einfach ein (Haupt-)Sponsor, sondern ganz klar Eigentümer des Vereins.
- Der Wechsel der Vereinsfarben wurde rigoros und trotz falscher Versprechungen an die Fanklubs durchgezogen.
- Der Kompromissvorschlag seitens der Red Bull Marketingabteilung an die IVW (Initiative Violett-Weiß) nach 4 Gesprächsrunden war für die Austrianer nicht nur enttäuschend, sondern absolut inakzeptabel: Kleine violette adidas-Logos auf weißen Dressen, eine violette Kapitänsschleife und violette Tormannstutzen.
- Auch die Spieler, die zunächst noch von Austria Salzburg übernommen wurden, mussten bei ihren Spielerportraits auf der Website auf einmal lesen: „Letzter Verein: SV Salzburg“.
- Der Verzicht auf den Meisterstern (7 Titel von Red Bull, 3 davor von Austria Salzburg) 2016 ist ein weiteres Zeugnis davon, dass man mit der Vergangenheit des Vereins gar nichts zu tun haben will. Dies erzürnte die wenigen verbliebenen Fans dadurch 2016 zu Recht nochmals.
Und nein, die Erklärung bzw. Ausrede die ich oft höre, dass Austria Salzburg ohne das Engagement von Red Bull dem Untergang geweiht gewesen wäre, lasse ich nicht gelten. Selbst ein Rudi Quehenberger bestätigt in Interviews, dass Austria Salzburg auch ohne den Einstieg von Red Bull zu 1.000 % finanziell überlebt hätte. Weiters kommen seit Beginn der Red-Bull-Ära (ausgenommen Euro-League) im Schnitt 7.000 – 8.000 Zuschauer weniger ins Stadion.
Mir ist durchaus bewusst, dass man sich allein mit Tradition nichts kaufen kann und sich viele traditionsreiche Klubs und vor allem deren Anhänger an Erfolgen aus der Vergangenheit festhalten. Geld hat auch schon immer eine wichtige Rolle im Fußball gespielt:
- Es gibt eine große Gruppe an Firmen bzw. Marken, die sich Image und Werbe-Effekt durch Sponsoring erhoffen
- Es gibt Mäzene, die ihren Verein unterstützen wollen
- Es gibt Oligarchen, die sich über den Fußball und im Schlepptau bekannter Klubs für Geschäfte und Institutionen in Europa relevant und bekannt machen wollen
- Es gibt natürlich auch sogenannte „Werksklubs“[2] wie Leverkusen oder Wolfsburg, die natürlich ohne den Einfluss von Sponsoren sicher nicht dort wären, wo sie sind, aber in den jeweiligen Städten zumindest Wurzeln des Betriebs haben
In all diesen Fällen haben Klubs aber immer noch eine Basis und im deutschen Profifußball ist beispielsweise ähnlich wie in der österreichischen Bundesliga sogar gottseidank immer noch die „50+1 Regel“[3] in Kraft, die besagt, dass der mehrheitliche Stimmenanteil der zumeist in Kapitalgesellschaften ausgegliederten Profimannschaften immer noch beim Verein bleiben muss und nicht in der Hand des Investors liegen darf. Und trotz aller Kritik am Einfluss von Investor und „Red Bull“-Eigentümer Dietrich Mateschitz verstößt in Deutschland auch beispielsweise Rasenball Leipzig nicht gegen die 50+1-Regel. Denn diese bezieht sich ausschließlich auf die Stimmenverteilung in der Kapitalgesellschaft. In wessen Hand das Kapital liegt, spielt dabei keine Rolle. Im Falle von RB Leipzig haben dabei allerdings einzig die 7 Red Bull nahestehenden Gründungsmitglieder ein Stimmrecht.
Der Vereinszweck von Red Bull
In meinen Augen setzt Red Bull dem modernen Sponsoring in allen Belangen die Krone auf, denn der einzige Vereinszweck scheint mir das Marketing zu sein. Es ist alles nur auf die Werbung ausgerichtet: Das Fußballgeschäft wird perfekt analysiert und das Geschäft und die Eigenheiten werden benutzt, um die maximale Aufmerksamkeit auf das Produkt zu lenken. Dass dazu noch Fußball gespielt wird, ist für mein Empfinden ein netter Nebeneffekt aber nicht der Grundgedanke des Vereins und das ist gleichzeitig der große Unterschied zu allen oben genannten Beispielen, wo sich Investoren und Sponsoren über einen Klub definieren und ihre Marken bewerben wollen. Dem gegenüber ist der Vereinszweck der Red Bull Vereine nicht die Ausübung des Fußball-Sports per se, sondern die geschickte Vermarktung der Red Bull Produkte über den Fußballsport. Und dies mit Filialen in mehreren Ländern mit überall dem gleichen CI[4] & KPI[5].
Ein Gedankenexperiment
Ein kleines (zugegeben überspitztes, aber im Grunde gar nicht so abwegiges) Gedankenexperiment: Neben der Gefahr von Red Bull für den Fußball könnten auch noch weitere Großkonzerne auf die Idee kommen, das Konzept nachzuahmen. In weiterer Folge würden diese Nachahmer mit ihren eigens geschaffenen Konstrukten den europäischen Fußball fluten. Die Anstoßzeiten müssten dann natürlich noch weiter ausgedehnt werden und Fans sich darauf einstellen, dass jeder Wochentag ein potentieller Liga-Spieltag ist, damit auch für jedes einzelne Spiel die Sponsoren und Marken am besten zur Geltung gebracht werden können. Die Spiele konzentriert am Wochenende, um sich nicht ständig frei nehmen zu müssen für lange Auswärtsfahrten? Fehlanzeige![6]
Da ist es dann auch kein weiter Weg mehr zu einer weltweiten Superliga, die ausschließlich in den größten Stadien abgehalten wird. Jeder Spieltag findet dann auf einem anderen Kontinent statt und wird abgekoppelt vom Rest aufgezogen wie eine Theaterveranstaltung, wo es dann kein 0:0 mehr geben darf.
Das geht solange gut, bis schließlich die Zuschauer ausbleiben und man erkannt hat, dass Fußball mehr ist als nur das Geld, das hineingepumpt wird. Und erst wenn man ihn vollständig ausgehöhlt hat, wird man erkennen, das Fußball ohne die passionierten Anhänger, die alle Strapazen für Ihre Vereine auf sich nehmen, nicht der globale Sport sein kann, der er heute ist.
…aber ob man die Entwicklung überhaupt noch stoppen kann, darf bezweifelt werden!
Ich „hate“ Red Bull (nicht)
Zum Schluss möchte ich festhalten, dass ich Red Bull Salzburg nicht hasse und daher kein „Hater“ sein kann. Ich „bashe“ auch nicht einfach grundlos gegen Red Bull: Ich habe eine klare Meinung und vertrete diese auch, indem ich die Machenschaften Red Bulls im Fußball kritisiere und mich dadurch auch nicht an Erfolgen dieses Vereins erfreuen kann.
Ich stehe auf Fußball und die vermittelten Werte wie Respekt, Toleranz, Verantwortung, Einsatzbereitschaft, Teamgeist und Solidarität – so sehr, dass es mir nicht nur darum geht, was mit „meinen“ Vereinen (Schwarz-Weiß Bregenz, Austria Wien und Rennweger SV) passiert. Ich will und kann nicht darüber hinwegsehen, wenn Fußballkultur nachhaltig zerstört wird.
Ich bin trotz oder gerade wegen meiner Meinung aber auch nicht gegen sondern für den österreichischen Fußball. Ich stelle den Werterhalt und das Wohl des wunderbaren Fußball-Sports im Allgemeinen in den Vordergrund. Der Fußball braucht Sponsoren, aber der Fußball braucht auch kritische Stimmen gegen übergreifende Macht von Sponsoren!
[1] Siehe auch https://neuwal.com/2014/10/16/red-bull-ghana-eine-akademie-auf-verlorenem-boden-martin-kainz/
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Werksteam
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/50%2B1-Regel
[4] Corporate Identity: Red Bull-Logo, Farben, Auftritt nach Außen
[5] Key Performance Indicator: Absatz der Produkte, Werbewert, Markenbekanntheit
[6] Beim Thema Anstoßzeiten haben wir in Österreich glücklicherweise noch keinen Grund zu klagen. In Deutschland finden Ligaspiele bereits von Freitag bis Montag statt. In Spanien beispielsweise sogar zu 10 verschiedenen Zeitpunkten an unterschiedlichen Tagen.