ÖHV Hotelierkongress 2019

Von 13. bis 15. Jänner 2019 fand in Villach unter dem Motto „Rethink Tourism“ die Jahrestagung der Österreichischen Hoteliervereinigung (ÖHV) statt. Auf der Agenda der vermutlich wichtigsten Veranstaltung der österreichischen Hotellerie standen Qualitätstourismus, Nachhaltigkeit, Regionalität und politisches Gruppenkuscheln.

ÖHV-Kongress, Eröffnung am 13.01.2019

Nachdem Michaela Reitterer auf der vorangegangen Generalversammlung einstimmig als Präsidentin der ÖHV wiedergewählt wurde, konnte ihre dritte und damit letzte Funktionsperiode am heimischen Tourismus-Thron entspannt und mit sichtlich guter Laune starten. Die gute Laune wollte Fortsetzung erfahren und so waren die präsentierten Studien-Ergebnisse von Petra Kacnik-Süß (CEO von „MindTake“) zur touristischen Wahrnehmung der österreichischen Bevölkerung durchgängig mit Lorbeeren verziert. 80,6 Prozent der ÖsterreicherInnen sehen generell positive bis sehr positive Auswirkungen des Tourismus und 86 Prozent meinen sogar, dass Tourismus regionale Arbeitsplätze fördert.

Anschließend an die dann folgenden gegenseitigen Höflichkeitsbekundungen von Tourismusministerin Elisabeth Köstinger (von Michaela Reitterer stets liebevoll „Eli“ genannt) und der ÖHV-Präsidentin versuchte ÖGZ-Chefredakteur Thomas Askan Vierich im Podiumsgespräch durch gut vorbereitete Fragen dann doch etwas Feuer in die Diskussion zu bringen (was ihm durch teils ausweichende Antworten leider nicht zur Gänze gelang). So bleiben am Ende die Verringerung der Grenzwerte der GWG (€ 1.500,- anstelle von derzeit € 400,-) sowie die dringende Änderung der Abschreibungs-Dauern an realistische Nutzungsdauern als wichtigste Forderungen an die Politik stehen und der Eröffnungsabend konnte im Casino Velden gemütlich ausklingen…

Nicht wir sind auf Regierungslinie, sondern die Regierung ist voll auf ÖHV-Linie!

ÖHV-Präsidentin Michaela Reitterer

ÖHV-Kongress, Tag 1, 14.01.2019

Hermann Konings startete den ersten Kongress-Tag mit einem Trend- und Innovationsausblick. „We are changing and we will always be changing“ sagte er mit Blick auf die immer knapper werdende Freizeit. So hätten wir heute bereits 7 Stunden weniger Freizeit pro Woche zur Verfügung als noch vor 25 Jahren. Am einprägsamsten war sicherlich seine spitz zugezeichnete Darstellung des „Phygital Headfooters“, der uns daran erinnern soll, dass nicht alles optimierbar ist. „We love digital, but we also want to escape“ – mit diesen Worten prophezeite er, dass in 5 Jahren bereits wieder mehr in lokalen Geschäften als online gekauft werden wird. Auch wenn beinahe alle Kaufentscheidungen online beeinflusst werden, so bleibt das offline Shopping-Erlebnis ein Grundbedürfnis der Menschen. Dies ist auch im Tourismus zu erkennen, denn beispielsweise in Belgien wurden 2017 erstmals seit 2002 wieder mehr Buchungen im Reisebüro als online getätigt.

Babyboomers want to die young – but as late as possible!

Trendforscher Hermann Konings

Prof. Dr. Michael Braungart wusste im zweiten Vortrag des Tages zu provozieren. So stellte er unmissverständlich klar, dass es keinen nachhaltigen Tourismus gibt und dass traditionelle Nachhaltigkeit den Kunden resp. den Gast zum Feind hat. Es reiche auch nicht, der Umwelt weniger Schaden zuzufügen; wir müssen vielmehr Gutes tun und lernen nützlich zu sein (nicht nur weniger schädlich). Er hatte während seines Vortrages zwar das Cradle-to-Cradle-Prinzip im Fokus, aber immer wieder auch praxistaugliche Tipps parat (vor allem um Krebserreger zu minimieren):

  • Olivenöl sollte man nicht zum kochen verwenden.
  • PVC-Tapeten und Silikon gehören ausgemistet.
  • Auf Antihaft-Pfannen sollte verzichtet und dafür wieder zu den klassischen Edelstahl-Pfannen zurückgekehrt werden.
  • Mütter sollten nach 9 Monaten aufhören zu stillen, wenn sie ihre Kinder nicht nur als Entgiftungs-Station nützen wollen.
  • Der beliebte Aperol-Spritz ist stark krebserregend.

Cyriacus Schultze hielt in seinem Vortrag zur Zukunft des Essens eingangs fest, dass immer noch 3 Prozent aller Unternehmer das Internet für „nicht relevant“ halten.

Arbeitet man am oder im Unternehmen? Das ist wohl die wichtigste Frage, der sich jede(r) Unternehmer(in) stellen muss. Vor allem im Tourismus ist dies von zentraler Bedeutung, wenn man sich den Normalfall von ganztags operativ eingespannten Eigentümer-Familien in der österreichischen Ferienhotellerie ansieht. Trotzdem oder gerade deshalb ist es wichtig, sich über die Trends am Markt zu informieren und am Laufenden zu bleiben. Viele der Maßnahmen, um den neuen Gästegenerationen kulinarisch gerecht zu werden, seien auch gar nicht teuer. Als langfristige Trends (diese haben mindestens 5 bis 10 Jahre Bestand) bezeichnete Schultze unter anderem Urban Farming. Auch der Trend zu Bio und Fairtrade ist, ebenso wie die „free-from“ (Eiweiß, Gluten, etc.) -Welle noch lange nicht zu Ende. Längst etabliert ist „functional food“, während Insekten und Laborfleisch ebenso wie „spiritual food“ noch mit viel Potential (aber auch Vorurteilen) behaftet sind. Die Food Revolution ist eben erst im Aufkommen und auch Algen und Pilze bietet noch eine schier endlose kulinarische Spielwiese. Zusammengefasst kann Schultze 5 Megatrends für die Zukunft erkennen:

  1. „Do it yourself“ wird zu „Done for you“
  2. “no-filter-experiences” (ungefilterte Überraschungen)
  3. Culinary Tourism
  4. Full-Time-Traveller (Reisen und Freizeit verschmilzt)
  5. Digitalisierung (AI, VR, Telemetrie, Community, …)

Als wichtigste Out-Takes des Vortrags können festgehalten werden:

  • Authentisch sein (nicht jeden Trend mitmachen)!
  • Eine klare Vision verfolgen!
  • Die eigene Marke stärken!

Christian Kresse (Geschäftsführer der Kärnten Werbung) präsentierte sein Herzensprojekt „Slow Food Kärnten“, bei dem es vorrangig um eine verantwortungsbewusste Ernährungs- und Esskultur für Kärnten geht. In Villach wurde zudem auch die erste Slowfood-Tourismusschule der Welt eröffnet. Noch fehlt es an starken Partnern. Nach dem Vortrag war aber zumindest klar, dass Slow Food kein Marketing-Gag ist!

Zum Abschluss des ersten Kongresstages stellte Barbara van Melle (Obfrau Slow Food Wien) fest, dass zu oft nur in Trends gedacht und das „große Ganze“ aus den Augen verloren werde. Erstmalig in der Geschichte sind mehr Menschen weltweit übergewichtig als in Hungersnot. Nach ihrem Eingangs-Statement bat van Melle Sepp Schellhorn, Hannes Royer und Peter Traupmann auf die Bühne, um über Nachhaltigkeit durch regionale Lebensmittel zu diskutieren. Dass Landwirtschaft und Tourismus hier nicht immer auf einer Linie sind, wurde vor allem bei den divergenten Ausführungen von Schellhorn und Royer schnell klar. Hier sinngemäß die wichtigsten Aussagen der Diskutanten.

  • Schellhorn: Politisch ist in der Vergangenheit viel falsch gelaufen und die Raumordnung hat die Greißler vertrieben.
  • Royer: Die Entscheidungen treffen immer noch die Konsumenten und heute werden 71 % des Schweines gar nicht mehr gegessen. Und wenn mit einer Regionalität geworben wird, die maximal 30km umfasst, dann muss man so ehrlich sein und sagen, dass sich das flächendeckend nicht ausgehen kann. Wir können de facto nur 4 % der Schweine, 0,5 % der Eier und 12 % des Rindfleisches im Alpenraum selbst produzieren. Regionalität wird nur möglich, wenn man die ganzen Bundesländer mit einfasst.
  • Trautmann: Wir sollten den Begriff Nachhaltigkeit so verwenden, wie er gedacht ist/war. Bereits im 17. Jahrhundert wurde gesagt, dass man nicht mehr entnehmen soll, als selbst nachwächst.
  • Schellhorn: Es ist eine Frage der Preisdurchsetzung, denn mit regionalen Lebensmitteln bin ich zumindest 20 % teurer im Einkauf. Im Ikea sind Suppe und Hauptspeise um 4,50 Euro zu haben. Die Gäste fragen, warum das bei mir 15 Euro kostet. Bis ich das erklärt habe, bin ich hin… Im Grunde haben viel zu Wenige das Selbstbewusstsein um zu sagen, dass die eigene Leistung einen Wert hat.
  • Royer: Wer hat uns gesagt, dass Lebensmittel keinen Wert haben dürfen?
  • Van Melle: Der wahre Luxus liegt in der Reduktion auf das Wesentliche.
  • Royer: Es muss mehr Positives kommuniziert werden, denn den „Kaiserschmarren mit Eiern aus ukrainischer Käfighaltung“ würde auch keiner essen.
  • Schellhorn: Mitarbeiter-Kosten und Wareneinsatz müssen gemeinsam unter 50 Prozent bleiben – dann überlebst (um an dieser Stelle Erwin Prodinger zu zitieren).
  • Royer: Wir hätten die Chance, Österreich über Qualität weltweit neu zu positionieren. Lasst uns gemeinsam zum Feinkostladen werden.

Nur wer kochen, also mit einigen wenigen grundsätzlichen Lebensmitteln ein schmackhaftes Gericht herstellen kann, kann sich der Industrie entziehen.

Plädoyer für’s Kochen von Barbara van Melle

Am Abend ging es dann in Tracht weiter nach Klagenfurt in die Schleppe-Eventhalle . Im „Partybus“ wurde uns vom besten Busfahrer des Landes nicht nur bereits bei der Hinfahrt Bier und Sekt serviert, sondern für die Rückfahrt auch die erste Sitzreihe des Busses reserviert. Gut gelaunt wurde dann noch die Aftershow-Party der ÖHV-Partner besucht 😉

ÖHV-Kongress, Tag 2, 15.01.2019

Der erste Block am zweiten Kongresstag widmete sich dem Thema OverTourism. Dr. Harald Pechlaner bezeichnete dieses Phänomen als eine gesamtgesellschaftliche Frage – für Ihn sei OverTourism daher kein neues und auch kein rein touristisches Problem. Viel eher müsse man bei der Tourismusgesinnung ansetzen.

So wie die Menschen reisen, so sind sie.

Dr. Harald Pechlaner

An der anschließenden Diskussionsrunde zum Thema OverTourism nahmen neben Dr. Pechlaner auch noch Petra Stolba (Österreich Werbung) und Andreas Gfrerer (Arthotel Blaue Gans) teil. Die wichtigsten Aussagen hier wieder zusammengefasst:

  • Stolba: Ein großer Wandel von der Destinationsorganisation hin zum Destinationsmanagement ist im Gange. Wir wollen zeitnäher wissen, wo sich welche Gästeströme bewegen (nicht erst ein Monat im Nachhinein). Dazu hat die Österreich Werbung gerade 2 Projekte gestartet: Verfolgung von Live-Buchungen mit easybooking und Besucherstrom-Analysen mit A1.
  • Gfrerer: Der öffentliche Raum gehört dem, der ihn erobert.
  • Stolba: Amsterdam kann dabei als Beispiel für gutes Destinationsmanagement herangezogen werden – allerdings wurde auch die Ortstaxe von 6 auf 8 % erhöht.
  • Pechlaner: Dialog-Management wird das nächste große Thema, um die Interessen der Bewohner mit einzubeziehen. Generell brauche es weniger „Arbeitsgruppen“; Kunst & Kultur müsse jedoch immer miteinbezogen werden.
  • Stolba: Wir stehen im Tourismus vor einem Paradigmenwechsel. Die 3 Säulen der Nachhaltigkeit sind ökologisch, ökonomisch und soziokulturell.
  • Pechlaner: Tourismus ist DIE Branche, die das Weltgeschehen massiv beeinflussen wird.

Das Zeitalter des Tourismus geht jetzt erst richtig los!

Dr. Harald Pechlaner

Nach der ersten Pause schaffte es Sara Dolnicar durch ihr erfrischendes und sehr sympathisches Auftreten gekonnt, das Auditorium zurückzuholen und gespannte Blicke und aufmerksame Ohren auf sich zu ziehen. Dolnicar versuchte durch Forschungsergebnisse zu belegen, dass die ehrliche Beschäftigung mit mehr Nachhaltigkeit durchaus auch zu Kosteneinsparungen führen kann. Zu diesem Zwecke wurden zahlreiche (sowohl erfolgreiche als auch erfolglose) Studien rund um die Thematik präsentiert. Dass die Beschäftigung mit Nachhaltigkeit im Tourismus wichtig ist, belegt allein schon die Tatsache, dass die Tourismusbranche für 8 Prozent der weltweiten Treibhausgase verantwortlich ist und an 5. Stelle unter den weltweit größten Umweltverschmutzern steht.

Es sind meist kleine Änderungen, die oftmals allein schon durch psychologische Anreize viel bewirken können:

  • 3cm kleinere Teller bewirken im Durchschnitt beispielsweise 20 % weniger Essensabfälle.
  • 21 % weniger Kosten konnten durch Normalisierung von gewünschtem Verhalten erzielt werden. (Im Beispiel Hinweisschilder, um öfter zum Buffet zu gehen, anstatt sich einmal die Teller übervoll anzurichten).

Die wichtigste (und gleichzeitig erschreckendste) Erkenntnis ist jedoch, dass es absolut nichts bringt, auf Werte (Umweltbewusstsein) beim Gast zu appellieren. Zusätzliche Urlaubsfreude (Getränkegutscheine) bringen viel mehr.

Nachhaltigkeit in der Praxis“ war das Thema der nächsten Diskussionsrunde mit Ernst Walter Schrempf (Hotel Schloss Thannegg im Ennstal), René Mayrhofer (Wombats) und Michaela Reitterer. Besonders imponierend hierbei war die Konsequenz und das Durchhaltevermögen, mit dem Ernst Schrempf über viele Jahre hinweg Entwicklung über Wachstum gestellt hat. Dies sei auch als übergeordnetes Ziel für die gesamte Branche zu sehen, wenn man nachhaltig arbeiten oder auch nur irgendeine Chance haben will, die Ziele des Pariser Klimaabkommens zu erreichen. So wird Schrempf in Zukunft sogar auf Übersee-Gäste verzichten, um den CO2-Ausstoß auf Null zu reduzieren. Die Pariser Ziele müssen über kurz oder lang ohnehin von allen im Auge behalten werden; spätestens wenn die Gäste Druck machen – und sie werden Druck machen!

Mayrhofer konnte den erfolgreichen Weg der Wombats City Hostels durch das „in-die-Mitte-rücken“ des Menschen eindrucksvoll darlegen. „It’s all about people“ lautet das Motto, das sichtlich gelebt wird. Reitterer stellte indes die ÖHV-Initiative für eine plastikfreie Hotellerie vor.

Wer sich vom Mediziner und Psychologen DDr. Christian Schubert von der MedUni Innsbruck einen langatmigen und mit Fachbegriffen bestückten Vortrag erwartete, der wurde zum Großteil enttäuscht. Man konnte als aufmerksamer Zuhörer nahezu all seinen Ausführungen folgen und war auch als Laie fast geneigt, die Schulmedizin im Anschluss in Frage zu stellen.

Seit Fritz Kahn, der bereits 1926 den Menschen als Industriepalast bezeichnete, hat sich schließlich wenig verändert. Immer noch betrachten wir medizinisch den menschlichen Körper als Maschine und Schubert die Medizin daher als Maschinenmedizin. Christian Schubert plädiert für einen Paradigmenwechsel hin zur Beziehungsmedizin. Mit dem biopsychosozialen Modell, der Psychoneuroimmunologie und dem eudaimonischen Wohlbefinden wurde es dann begrifflich doch noch etwas komplexer – folgen konnte man Schuberts Ausführungen jedoch während des gesamten Vortrages.

Das Maschinenparadigma müsse in Frage gestellt werden und die medizinischen Errungenschaften jedenfalls um vernetztes Denken und das Verstehen von Zusammenhängen ergänzt werden. Denn welche Antworten hat die Schulmedizin auf die belegbaren Tatsachen, dass Stress Krebs auslösen kann und die Lebenserwartung durch regelmäßige Kirchenbesuche steigt?

ReThink Happiness“ war der Titel des Schlussvortrages von NLP-Ikone Roman Braun. Der Saal war für ein Kongressende ungewohnt voll, als Sinn und Glück als Faktoren der Nachhaltigkeit im eigenen Leben thematisiert wurden. Roman Braun könnte Rhetorik erfunden haben, schaffte er es doch den Saal restlos von der ersten bis zur letzten Sekunde in seinen Bann zu ziehen und auch zum Mitmachen (bspw. durch Muskeltests) zu animieren. Seine Erzählungen waren authentisch, berührend und inhaltlich nachvollziehbar. Im Grunde wollen wir alle Schmerz vermeiden und nach Lust suchen; genauso wie wir Sinnvolles suchen und Sinnloses vermeiden wollen.

Jeder hat einen Sprung in der Schüssel, aber das ist gut, weil da kommt das Glück Rein.

Dr. Roman Braun

Persönliches Kongress-Fazit 2019

Der ÖHV-Kongress 2019 war auf jeden Fall top organisiert und bot auch inhaltlich sehr viel Abwechslung. Aufgrund des ausgeschriebenen Programms und der Themen-Kommunikation im Vorfeld habe ich mir sogar weniger erwartet und war dann ehrlicherweise positiv überrascht! Beide Tage waren mit sehr guten Speakern besetzt und man konnte sich sowohl beruflich als auch privat viel mitnehmen. Für mich einer der besten Kongresse bisher… nur Villach an sich ist vielleicht nicht die attraktivste Stadt…

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